
«Аквариум» ist eine kultige russische Rockband, die 1972 in Leningrad gegründet wurde. Während ihrer gesamten Geschichte war ihr geistiger Anführer und Hauptautor Boris Borisowitsch Grebenschtschikow (BG) – eine der Schlüsselfiguren der russischen Rock-Poesie. Die Band wurde zu einem Grundpfeiler der russischen Rockkultur und legte den Weg vom Underground und Wohnungskonzerten bis hin zu internationalen Tourneen, TV-Auftritten und großen Stadionkonzerten zurück.
In mehr als fünfzig Jahren ihres Bestehens hat «Аквариум» ein einzigartiges philosophisch-musikalisches Universum geschaffen, das Rock, Folk, Reggae, Art-Rock, verschiedene ethnische Strömungen, Elektronik und Elemente östlicher meditativer Praktiken miteinander verbindet. Die Besetzung der Band hat sich im Laufe der Zeit vielfach verändert, doch der unverwechselbare Stil, die bildhafte Sprache und der konsequent konzeptionelle Ansatz blieben stets erhalten.
Geschichte
Gründung (1972–1976)
Die Band entstand im Sommer 1972, als sich folgende Musiker zusammentaten:
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Boris Grebenschtschikow – Gesang, Gitarre, Songwriting
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Anatoli „George“ Gunizki – Dichter, Dramatiker, Schlagzeug
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Edmund Schkljarski – Bassgitarre (später Kopf der Band «Piknik»)
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Michail „Fan“ Fainstein – Bassgitarre
Der frühe «Аквариум» war in erster Linie ein kreativer Freundeskreis, der mit neuen Formen musikalischen und poetischen Ausdrucks experimentierte. Die Musiker traten vor allem bei Wohnungskonzerten (Kwartirniki) auf – dem einzigen verfügbaren Format für unabhängige Rockmusik in der UdSSR der frühen 1970er Jahre.
In dieser Phase formte sich der typische Stil der Band: eine Mischung aus ironischen Texten, Improvisation, Volksmotiven und einem freien, experimentellen Zugang zur Kreativität, der später zum Markenzeichen des gesamten russischen Rock wurde.
Underground und erste Alben (1977–1980)
Die zweite Hälfte der 1970er Jahre war eine Zeit intensiver kreativer Experimente. Die Band nahm ihre ersten Tonbandalben in Heimstudios auf, mit Mehrspur-Aufnahmen auf Spulentonbandgeräten.
In dieser Phase entstanden die frühen Veröffentlichungen:
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«С той стороны зеркала» („Von der anderen Seite des Spiegels“, 1978)
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«Исход» („Exodus“, 1979)
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«Акустика» („Akustik“, 1980)
Diese Ära festigte den Status von «Аквариум» als führende Band der nicht-zensierten Leningrader Rockszene.
Blütezeit und landesweite Bekanntheit (1980–1986)
Die frühen 1980er Jahre gingen als „goldene“ Periode in die Geschichte der Band ein. «Аквариум» tritt im Leningrader Rock-Club auf, füllt Säle und veröffentlicht eine Reihe wegweisender Alben:
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«Синий альбом» („Blaues Album“) (1981)
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«Треугольник» („Dreieck“) (1981)
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«Радио Африка» („Radio Afrika“) (1983)
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«Икра» („Kaviar“) (1984)
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«День серебра» („Der Tag des Silbers“) (1984)
Musikalisch verbindet «Аквариум» Art-Rock, Folk-Rock, Reggae, Psychedelia und städtische Romanzentraditionen. Grebenschtschikows Texte werden von Literaturwissenschaftler:innen analysiert, und die Songs verbreiten sich in Form von Tonbandkopien in der gesamten Sowjetunion.
1986 erscheint «Десять стрел» („Zehn Pfeile“) – die letzte große Samisdat-Veröffentlichung auf Kassette. In diesen Jahren tourt die Band aktiv, tritt im Fernsehen auf und wird im ganzen Land bekannt.
Internationale Phase und Umbrüche (1987–1992)
Ende der 1980er Jahre erhält «Аквариум» die Möglichkeit, im Westen zu arbeiten. Die Musiker nehmen ein englischsprachiges Album auf:
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Radio Silence (1989)
An den Aufnahmen beteiligen sich westliche Musiker, darunter Dave Stewart (Eurythmics). Die Band tourt durch Großbritannien und die USA und stößt auf großes internationales Interesse.
Anfang der 1990er Jahre kommt es zu einer kreativen Pause und zur Auflösung der klassischen Besetzung. BG stellt eine neue Formation unter dem Namen «BG-Band» zusammen und experimentiert mit ethnischen Klängen und elektronischer Musik.
Die Rückkehr von «Аквариум» und eine neue Ästhetik (1993–2000)
1993 erscheint das Album «Кострома Mon Amour», das die Wiedergeburt von «Аквариум» in neuer Besetzung markiert. Von diesem Zeitpunkt an tritt die Band in eine Phase reifer Studioarbeit ein.
Wichtige Alben dieses Jahrzehnts:
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«Русский альбом» („Russisches Album“, 1991, erneut veröffentlicht 1997)
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«Навигатор» („Navigator“, 1997)
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«Снег» („Schnee“, 1999)
Die Musik wird melodischer, kammermusikalischer und konzeptueller; die Texte sind reich an Symbolik, östlicher Philosophie und biblischen Motiven.
Moderne Phase (2000er Jahre – Gegenwart)
Seit Beginn der 2000er Jahre veröffentlicht «Аквариум» regelmäßig Studioalben, Live-Aufnahmen, Compilations und Soundtracks. Die Band tourt aktiv durch Russland, Europa und Asien, tritt auf Festivals auf und spielt Konzerte gemeinsam mit Symphonieorchestern.
Zu den wichtigsten Veröffentlichungen des 21. Jahrhunderts gehören:
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«Сестра Хаос» („Schwester Chaos“, 2002)
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«Песни рыбака» („Lieder des Fischers“, 2003)
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«Zoom Zoom Zoom» (2005)
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«Пушкинская, 10» („Puschkinskaja, 10“, 2007)
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«Лошадь Белая» („Weißes Pferd“, 2008)
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«Архангельск» („Archangelsk“, 2008)
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«Соль» („Salz“, 2014)
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«Беспечный русский бродяга» („Unbekümmerter russischer Vagabund“, 2018)
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«Знак огня» („Zeichen des Feuers“, 2019)
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«Время N» („Zeit N“, 2021)
Der heutige «Аквариум» ist ein Syntheseprojekt aus lebendigem Folk-Sound, östlichen Instrumenten, elektronischen Texturen und Grebenschtschikows unverkennbar philosophischer Lyrik. Die Band bewahrt ihre künstlerische Freiheit und ihren Entdeckergeist und bleibt eine der einflussreichsten Formationen der russischen Musik.
Musikalischer Stil
Die Musik von «Аквариум» zeichnet sich aus durch:
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eine große stilistische Bandbreite (Folk, Psychedelia, Reggae, Progressive Rock, Art-Rock);
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einen abwechslungsreichen, oft ungewöhnlichen Instrumenteneinsatz;
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bildhafte, poetische Texte;
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Einflüsse des Buddhismus, der christlichen Mystik und des Sufismus;
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häufigen Einsatz akustischer und ethnischer Instrumente;
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eine philosophische, metaphorische Sprache von BG.
Die Band hat einen eigenen kulturellen Code geschaffen und gilt – neben Gruppen wie «Kino», «DDT», «Zvuki Mu» und «Maschina Wremeni» – als eine der tragenden Säulen des russischen Rock.
Diskografie von «Аквариум»
Wichtigste Studioalben
1970er Jahre
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«С той стороны зеркала» („Von der anderen Seite des Spiegels“, 1978)
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«Исход» („Exodus“, 1979)
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«Акустика» („Akustik“, 1980)
1980er Jahre
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«Синий альбом» („Blaues Album“, 1981)
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«Треугольник» („Dreieck“, 1981)
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«Электричество» („Elektrizität“, 1981)
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«Табу» („Tabu“, 1982)
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«Радио Африка» („Radio Afrika“, 1983)
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«Икра» („Kaviar“, 1984)
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«День серебра» („Tag des Silbers“, 1984)
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«Детский альбом» („Kinderalbum“, 1984)
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«Ихтиология» („Ichthyologie“, 1985)
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«Десять стрел» („Zehn Pfeile“, 1986)
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«Равноденствие» („Tagundnachtgleiche“, 1987)
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Radio Silence (1989, englischsprachig)
1990er Jahre
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«Кострома Mon Amour» (1993)
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«Любимые песни Рамзеса IV» („Lieblingslieder von Ramses IV“, 1996)
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«Навигатор» („Navigator“, 1997)
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«Снег» („Schnee“, 1999)
2000er Jahre
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«Zoom Zoom Zoom» (2005)
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«Пушкинская, 10» („Puschkinskaja, 10“, 2007)
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«Лошадь Белая» („Weißes Pferd“, 2008)
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«Архангельск» („Archangelsk“, 2008)
2010er–2020er Jahre
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«Соль» („Salz“, 2014)
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«Беспечный русский бродяга» („Unbekümmerter russischer Vagabund“, 2018)
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«Знак огня» („Zeichen des Feuers“, 2019)
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«Время N» („Zeit N“, 2021)
Ausgewählte Live-Alben
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«Концерт в Москве» („Konzert in Moskau“, 1987)
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Live in London (1992)
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«Концерт в Крокус Сити Холле» („Konzert in der Crocus City Hall“, 2013)
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«Аквариум. Симфония Неприкаянных» („Aquarium. Symphonie der Ruhelosen“, 2017)
Kompilationen und seltene Aufnahmen
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«Все альбомы «Аквариума»» („Alle Alben von «Аквариум»“, Serie von Tape-Alben)
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«Антология «Аквариум: 30 лет»» („Aquarium: 30 Jahre“, Anthologie)
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Sammlung «Песни БГ» („Lieder von BG“)
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Seltene Versionen und Akustik-Sessions aus verschiedenen Jahren
Mitglieder (verschiedene Epochen)
Gründer und Frontmann:
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Boris Grebenschtschikow – Gesang, Gitarren, Flöten, Perkussion, Songwriting
Wichtige Musiker der verschiedenen Jahre:
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Anatoli Gunizki
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Edmund Schkljarski
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Michail Fainstein
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Andrei Romanow („Djusha“)
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Wsewolod Gakkel
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Alexander Titow
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Sergej Kurjochin
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Oleg Garkuscha
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Juri Schewtschuk (Gästebeiträge)
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Mitja Schagin
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Brian Finnegan
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Liam Bradley
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Igor Timofejew
Die Besetzung der Band hat sich Dutzende Male geändert, doch das zentrale Kernteam bildete stets BG.
Bedeutung und Einfluss
«Аквариум» hat einen grundlegenden Einfluss ausgeübt auf:
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die Entwicklung des russischen Rock;
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die Entstehung der Leningrader Rock-Club-Kultur;
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die Herausbildung eines neuen Typs von liedorientierter Rock-Autorenmusik;
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die Popularisierung philosophischer und mystischer Lyrik im Rock;
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die Integration ethnischer Instrumente in den Rockkontext;
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das Aufkommen einer neuen Musiker:innen-Generation der 1980er und 1990er Jahre.
Die Band wurde zu einem Symbol kreativer Unabhängigkeit in der UdSSR und später zu einer der wichtigsten kulturellen Institutionen der modernen russischen Musikszene.
Fazit
«Аквариум» ist nicht nur eine Musikgruppe, sondern ein langjähriges kreatives Phänomen. Ihre Musik verbindet Generationen, und ihre philosophischen Texte inspirieren bis heute Hörer:innen und Künstler:innen auf der ganzen Welt. Die Band gilt zu Recht als eine der größten Formationen in der Geschichte des russischen Rocks.