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Pierre Schaeffer - Biografie und Diskografie, alle Alben und Songs

Pierre Schaeffer

Pierre Schaeffer wurde am 18. August 1910 in Nancy (Frankreich) in einer Familie eines Musikers und einer Bibliothekarin geboren. Sein Vater führte ihn in die Welt der klassischen Musik ein, seine Mutter in Literatur und intellektuelle Diskussionen. Doch zunächst verlief sein Weg anders: Schaeffer erhielt eine Ausbildung als Ingenieur im Bereich Elektromechanik und Radiotechnik. Die Verbindung von Technik und Kunst in einer Person führte später zu einer Entdeckung, die die Musikgeschichte für immer veränderte.

Anfänge: Ingenieur, Experimentator, Denker

In den 1930er Jahren begann Schaeffer beim französischen Rundfunk zu arbeiten. Er beschäftigte sich mit dem, was man heute Sounddesign nennen würde: er experimentierte mit Aufnahmen, Schnitt, Mikrofonen; er fing Straßenlärm, Stimmen, mechanische Klänge und elektrische Impulse ein. Damals galt das eher als Spielerei denn als Musik.

Doch Schaeffer formulierte allmählich eine revolutionäre Idee:
Musik kann nicht nur mit Instrumenten entstehen – sondern auch aus den Geräuschen der Welt.

Er nannte dies objet sonoredas Klangobjekt, den grundlegenden „Baustein“ einer Komposition.

Die Geburt der musique concrète – eine musikalische Revolution

Im Jahr 1948 erklärte Schaeffer offiziell die Entstehung eines neuen Genres, das er musique concrète nannte – „konkrete Musik“.

Dies waren keine abstrakten Noten oder Partituren, sondern die Arbeit mit realem Audiomaterial, das auf Tonband aufgenommen wurde:

  • Schritte
  • Stadtlärm
  • Metallschläge
  • Zuggeräusche
  • die menschliche Stimme
  • umgedrehte Aufnahmen
  • Radiofragmente
  • mechanische Rhythmen
  • Geräusche der Natur

Schaeffer arbeitete wie ein Klangregisseur:
Er schnitt Tonband, klebte Fragmente zusammen, veränderte die Geschwindigkeit, spielte Aufnahmen rückwärts ab, schichtete Klänge.

Dies wurde zum Vorboten von:

Frühe Schlüsselwerke

Étude aux chemins de fer (1948)

Wahrscheinlich sein berühmtestes Werk – „Studie der Eisenbahnen“. Die Komposition besteht ausschließlich aus Zuggeräuschen: Räder, Signale, Bremsen, Vibrationen.

Heute gilt sie als erstes Werk der elektronischen Musik überhaupt.

Cinq études de bruits – „Fünf Studien über Geräusche“ (1948)

Bahnbrechende Experimente über Rhythmus, Textur und Form von Geräuschen.

Symphonie pour un homme seul (1950)

Monumentale 12-teilige Symphonie, gemeinsam mit Pierre Henry. Atem, Schritte, Körperschläge, Husten, Seufzer – das Menschlichste wird zur Musik der Zukunft.

GRMC und ORTF – Labore der Zukunft

Schaeffer gründete das erste Forschungsstudio der Welt für experimentelle musikalische Arbeit:

  • GRMC – Groupe de Recherche de Musique Concrète
  • später GRM – Groupe de Recherches Musicales, das bis heute existiert

Dort entstanden:

  • Endlosschleifen auf Tonband
  • Vorformen des Sequenzers
  • frühe Synthesizer
  • Filter und Resonatoren
  • experimentelle Mikrofone
  • Schnittmethoden – Grundlage des modernen Sounddesigns

Zu seinen Schülern gehörten:

  • Pierre Henry
  • Luciano Berio
  • Karlheinz Stockhausen
  • Iannis Xenakis
  • Bernard Parmegiani
  • François Bayle

Diese Schule prägte die gesamte europäische elektronische Musik der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts.

Theorie des Klangs – Schaeffer als Philosoph

Écoute réduite – reduziertes Hören

Den Klang selbst hören, ohne an seine Quelle zu denken. Die Struktur wahrnehmen – nicht das Bild.

Objet sonore – Klangobjekt

Die kleinste Einheit einer Klangkomposition.

Typo-morphologie

Ein System zur Klassifikation aller Klänge – wie ein Periodensystem des Hörens.

Heute werden seine Ideen genutzt in:

  • Filmton
  • digitale Audioproduktion
  • modularer Elektronik
  • Ambient / Experimental
  • Media-Art

Wenig bekannte Fakten

  • Schaeffer mochte das Wort „Komponist“ nicht – er nannte sich Klangforscher.
  • Er wollte ursprünglich Schriftsteller werden und veröffentlichte Romane und philosophische Texte.
  • Er war kritisch gegenüber elektronischer Tanzmusik: „mechanisch schön, aber sinnentleert“.
  • Er erforschte die Psychologie des Hörens lange vor der Neuroakustik.
  • Er schuf frühe Formen generativer Musik mit Tonbandschleifen.
  • Er nahm Tierlaute, Regen, Wind und Maschinen auf – lange bevor Field Recording etabliert war.
  • Später warnte er davor, dass „die Technik die Musik vollständig beherrschen könnte“.

Vollständige Diskografie von Pierre Schaeffer

Nachfolgend die umfassendste Zusammenstellung seiner Werke: Kompositionen, Zyklen, Alben, Kollaborationen und Archivveröffentlichungen.

Wichtige Werke (chronologisch)

1948

  • Étude aux chemins de fer
  • Étude aux tourniquets
  • Étude au piano I
  • Étude au piano II
  • Étude violette
  • Étude noire
  • Cinq études de bruits (Zyklus)

1950

  • Symphonie pour un homme seul (mit Pierre Henry)

1951–1953

  • Variations sur une flûte mexicaine
  • Étude aux allures

1958–1959

  • Concert de bruits
  • La coquille à planètes (Radio-Oper)

1960

  • Étude aux objets

1961–1967

  • Le trièdre fertile
  • Scènes de la vie future
  • Prosopopée

1970er Jahre

  • GRM-Zyklen
  • Archivexperimente für das Radio
  • Material für Solfege de l'objet sonore

Kollaborationen

Mit Pierre Henry

  • Symphonie pour un homme seul
  • Orphée 51
  • Messe pour le temps présent (konzeptionelle Mitarbeit)

Mit Iannis Xenakis und François Bayle

  • zahlreiche GRM-Aufnahmen
  • Experimente für ORTF

Späte und Archivveröffentlichungen

  • Pierre Schaeffer – L’Œuvre Musicale
  • Archives GRM – Volume I–III
  • Solfege de l'objet sonore
  • Le Trièdre Fertile – Complete Works

Pierre Schaeffer als Vordenker der Klangkultur des 21. Jahrhunderts

Die heutige Musik wäre ohne Schaeffer kaum denkbar:

  • Ambient
  • Techno
  • Experimental
  • IDM
  • Glitch
  • Film-Sounddesign
  • Audio-Art
  • Field Recording
  • Sampling
  • Modularsynthese

All das stützt sich auf seine Grundprinzipien:
Klang als Kunst, Klang als Objekt, Klang als Form.

Pierre Schaeffer veränderte für immer die Vorstellung davon, was Musik sein kann. Er suchte Kunst dort, wo sie zuvor niemand vermutete: in Geräuschen, mechanischen Vibrationen, Natur- und Stadtklängen. Seine Werke wurden zum Fundament der gesamten elektronischen und experimentellen Szene – von Ambient bis Techno, von Sounddesign bis Avantgarde.

Vor allem aber schenkte er der Welt eine neue Art des Hörens – bewusst, aufmerksam, jenseits der Gewohnheit. Sein Vermächtnis lebt weiter in jeder Studie, jedem Experiment und jedem Musiker, der den Mut hat, ungewöhnliche Klänge zu erforschen.

Pierre Schaeffer bleibt eine Stimme der Zukunft – eine Stimme, die bis heute klingt.


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